Filiz Bayerlein, Waldkirchen

Filiz Bayerlein, Waldkirchen
Zunächst, was ist ein Radabweiser? So mancher fragt sich das, wenn er von Waldkirchen als „Radabweiser-Stadt des Bayerischen Waldes“ hört. Rein technisch sind dies Prellsteine oder architektonische Schutzelemente zum Schutz von Gebäudeecken vor Beschädigung durch Räder.
Als konisch gerundetes Bauteil sind diese eher von Nutzen als von Schönheit. Anders in Waldkirchen! Hier sind sie in Stein gemeißelte Waldkirchner Geschichte. Als solche sind sie nicht nur schön anzuschauen, sondern erzählen als Wahrzeichen in Ihrer Gesamtheit auch einiges über die damalige Lebensart und den Charakter unserer malerischen Kleinstadt. Mittlerweile sind es 10 Radabweiser Figuren, die verschiedenste Hausecken im Marktbereich zieren und jeder für sich eine Geschichte über Waldkirchen erzählt.
Die wohl bekanntesten sind da Hans und die Gretl. Und wie bei Adam und Eva haben sie den Anfang gemacht.
Aus einheimischem Granit gestaltet, stehen sich da Hans (auch ewiger Hochzeiter genannt) und die Gretl auf ewig gegenüber. Auch wenn sie sich nicht aus den Augen verlieren, bleiben sie doch voneinander getrennt und zieren jeder für sich das eigene Hauseck.
Smartphone und sozialen Medien sei Dank, sind sie doch bisweilen nicht mehr so einsam. Bei Bloggern, Influencern und Urlaubern sind sie mittlerweile beliebter Fotopoint und werden daher doch hin und wieder in den Arm genommen.
Der stoanane Hans wurde im 1.Jhrdt. als fescher junger Mann in Biedermeiertracht von Steinmetz Matthias Hausbäck geschaffen. Die Rufe der Bevölkerung nach einer Partnerin für den Hans wurden immer lauter:: „Gebts dem Hans doch eine Hochzeiterin!“
Mit der Stadterhebung 1972 war es dann der Waldkirchner Künstler Manfred Werner, der dem Junggesellen ein fesches Trachtenmadl namens „Gretl“ „vor die Nase“ setzte.
Ob die ewige Sehnsucht nach der Gretl den Hans glücklicher gemacht hat? Wer weiß…
Mit Hans und Gretl war die Tradition für die lebensgroßen Granitfiguren geboren. Und mit den Jahren bekamen Gretl und Hans historische Gesellschaft.
Mit dem „Herrn Marktrichter“ vor dem ehemaligen Rathaus waren sie schon zu Dritt im Bunde der Radabweiser. Diese Symbolfigur erinnert an das früh verliehene Marktrecht. Die eigene Gerichtsbarkeit war eine geschichtliche Besonderheit und wird alljährlich mit dem Marktrichtertag gefeiert.
Aber auch dem Waldkirchner Wirt wurde ein Radabweiser gewidmet. Vor dem Gasthaus Lampesdorfer (heutiges Hotel/Restaurant Herzstück) ist er ein Denkmal für die Rolle des Wirts als Kommunikationsträger.
Wer schonmal auf dem Waldkirchner Wochenmarkt zugegen war und dem bunten Treiben beigewohnt hat, der ist sicher nicht verwundert, dass seit 2008 auch eine Marktfrau unter den Radabweisern ist. Das Hackinger Marerl war damals bis in die 1980er Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein mit ihrem Stand ein nicht nur ein beliebter Ort zum Obst- und Gemüsekauf sondern besonders zum Plaudern gewesen ist.
Vor der Marien Apotheke wacht seit 2009 der Chirurg „Johann Caspar Staudenhöchtl“ als Radabweiser über die Gesundheit der Waldkirchner. Gemeinsam mit seinem gleichnamigen Vater verkörpert er den Übergang vom mittelalterlichen Baderwesen zur modernen Medizin.
Teile des damals verwendeten chirurgischen Gerätes und Portraits von Johann Caspar und seiner Gattin Maria Anna Staudenhöchtl sind im Museum Goldener Steig zu sehen.
Geschichtsträchtig ehrt der „Salzsäumer“ als Radabweiser in typischer Säumertracht die Waldkirchner Geschichte. Seit dem Jubiläum „1000 Jahre Goldener Steig“ im Jahre 2010 ziert er eine Hausecke am unteren Markt. . In Waldkirchen machten die Säumer Rast auf dem Weg nach Böhmen. Deshalb muss er anders als seine Kollegen nicht alleine am Hauseck verweilen. Mit ihm ist sein Saumpferd, das ihm treu über seine Schulter schaut. Auch er hat seit dem 1. Oktober 2011 ein steinernes Gegenüber: den Torwächter.
Am Ausgang des Marktplatzes beobachtete der Torwächter die Waldkirchner Toranlage. Er verweist heute auf den Wachtdienst längst vergangener Zeiten.
Der Tuchhändler Joseph Crusilla darf seit 8. September 2012 als „hochgeschätzter Händler“ am Marktplatz 21 stehen.
Und zu guter Letzt bringt der zehnte und jüngste Stein seit Oktober 2018 Segen in die Runde. Er zeigt Johannes Antonius Loraghi (1711–1782), der ab 1746 für 35 Jahre in Waldkirchen als Pfarrer und Dekan wirkte.
Auch wenn unsere steinernen Marktbewohner an längst vergangene Zeiten erinnern, so büßen sie doch nicht an Aktualität ein. Heute noch zeigt der Waldkirchner Wochenmarkt, dass der Marktplatz nichts an Flair eingebüßt hat. Vielleicht mit dem Unterschied, dass es heute nicht nur Marktfrauen sondern durchaus auch Marktmänner zu sehen gibt. Und auch das Handelsgeschehen floriert. Als beliebte Einkaufsstadt bietet Waldkirchen mit zahlreichen Händlern exklusive Marken und vielseitige Produkte. Gasthäuser und Restaurants pflegen die Wirtshaus-Kultur – vom Biergarten bis hin zum Sternerestaurant.
Und auch Chirurgen und Pfarrer beehren die Stadt bis heute. Lediglich der „ewige Hochzeiter“ und die Gretl scheinen etwas aus der Zeit gefallen zu sein. Die Junggesellen von heute sind wohl nicht mehr so geduldig und treu wie der Hochzeiter mit seiner Gretl.
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Unsere Tippgeber
Als gebürtiger und somit waschechter Waldkirchner kennt er sein Waldkirchen natürlich perfekt. Früher beruflich in der ganzen Welt zuhause, weiß er worauf es ankommt und hat natürlich immer den ein oder anderen Insider – Tipp parat, egal ob Familie, Kulinarik, Shopping oder Natur!
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